Das fruchtbarste und bedeutsamste Ursprungsland des
vorarlbergischen Baumeistertums war im 17. und 18. Jahrhundert der
Bregenzerwald. Seine westlichen Verbindungsposten zu Bregenz hin
bildeten Langenegg, Lingenau, Großdorf, Schwarzenberg und Andelsbuch.
Das Kerngebiet aber war der obere Talboden der Bregenzer Ache, von Bezau
aufwärts bis Schoppernau, dem Hauptort Au. Diese Bauleute des Innern Bregenzerwaldes sind eine
allgemein merkwürdig Erscheinung der Kunstgeschichte - eine Parallele zu
den Künstlergruppen von Como und Lugano, von Graubünden und Wessobrunn.
Diese Gruppen hatten ihre Mission in Romanik, Renaissance und Barock
jeweils in der Vermittlung italienischer Kunst nach dem Norden. Anders
dagegen erscheint das barocke Baumeistertum des altbayerischen
Klosterorts Wessobrunn und des Bregenzerwaldes aus überlegten
Gründungsmaßnahmen hervorgegangen und bewusst ausgebreitet. Die in
diesen Gebieten nach dem Dreißigjährigen Krieg allgemein um sich
greifende Bauleidenschaft brachte eine einzigartige Konjunktur.
Während in Bregenz eine eigene Maurerzunft erst 1699
nachgewiesen werden kann, wurde im Hinteren Bregenzerwald schon etwa
1651 die Bauhandwerkerzunft von Au gegründet, die das Fundament und
Zentrum einer bedeutsamen Entwicklung werden sollte. In ihr wurde die
Ausbildung wie die Tätigkeit der Bauleute des Begenzerwaldes geordnet.
Zwei Jahrzehnte nach dem Beginn dieser Zunft haben im letzten Drittel
des 17. Jahrhunderts anscheinend über 9/10 der erwachsenen männlichen
Bevölkerung von Au/Schoppernau ihr Brot im Baugewerbe verdient. Im 17.
und 18. Jahrhundert kann man innerhalb der Auer Zunft etwa 600 Maurer,
Zimmerleute, Steinmetzen und Stukkatoren feststellen - eine für ein
enges und dünn besiedeltes Gebiet erstaunlich große Zahl! Von 1651 bis
1787 haben in der Auer Zunft über 1800 junge Leute ihre Lehre empfangen.
Dank ihrer Tätigkeit und der ausgezeichneten Weise der Bauführung waren
die Bregenzerwälder offenbar weithin jeder Konkurrenz überlegen.
Zu äußeren Zunftordnung kam der Zusammenhalt der
Lehre und Tätigkeit im Verband der Familien und Sippen. Es gab hier mehr
als ein Dutzend von Baumeisterfamilien mit zahlreichen Mitgliedern, in
manchen Familien durch drei, ja vier Generationen hin. Über den soliden
Handwerksgrundlagen und der sicheren Ordnung der Tätigkeit gipfelte die
Baumeisterschaft des Bregenzerwaldes im architektonischen Künstlertum
der Familien Beer, Thumb und Moosbrugger.
Diesen Baumeistern des Bregenzerwaldes kommt eine für die gesamte Barockarchitektur Deutschlands erhebliche Bedeutung zu.
Der "Anfänger", also offenbar Gründer der Auer Zunft
ist Michael Beer (ca. 1600 - 1666) gewesen. In der Frühzeit des großen
Kriegs war er zur Ausbildung wahrscheinlich über Tirol und Salzburg nach
Österreich gegangen, wo er seine Gesellenzeit 1625 bei einem kaum
bekannten Maurermeister Niederösterreichs bestand. 1651 wurde ihm der
Neubau des Stifts und der Stiftskirche vom Kempten im Allgäu übertragen,
die erste und gleich höchst gewichtige Aufgabe, die es zu jener Zeit in
ganz Süddeutschland gab. Rasch weitete Michael Beer seine Tätigkeit
über den Bodensee auch nach Oberschwaben bis Hohenzollern, in das
südliche Schwarzwaldland, in die Bodenseeschweiz und zuletzt sogar noch
nach Altbayern aus.
Als Mitarbeiter und Werknachfolger Michael Thumb
(ca. 1640 - 1690) von Bezau begonnen, um dann die Geltung der
Vorarlberger Baumeisterschaft in Schwaben und Altbayern entschieden zu
festigen. Von ihm ist, in Anschluss an die neuen Jesuitenkirchen der
Schweiz, das sogenannte "Vorarlberger Münsterschema": Westfassade mit
Turmpaar, wenig vorragende Seitenschiffe, Kreuzung überkuppelt,
seitliche Emporen und Galerien - ausgeprägt worden. Diese Raumstruktur
vollzog Michael Thumb zuerst 1682 in Ellwangen-Schönberg, dann am
klarsten 1686 in der oberschwäbischen Stiftskirche Obermarchtal.
Die Auer Gruppe wird in stetiger Dauerhaftigkeit
fortgeführt von Christian Thumb (ca. 1645 - 1726), dem jüngeren Bruder
Michael Thumbs und Schüler Michael Beers. Er hat die baumeisterliche
Vormachtstellung der Vorarlberger am Bodensee und in Oberschwaben weiter
verstärkt, auch im Auer Handwerk als Zunftmeister und Lehrer besonders
fruchtbar gewirkt.
Eine andere Linie hebt sich eindrucksvoll von
Michael Beer und dessen Sohn Franz Beer (1660 - 1726) ab. Auch er hat
bei Michael Thumb gelernt und zunächst in der Ausführung der von seinem
Lehrmeister hinterlassenen Werke gedient. Seit 1696 führte Franz Beer
das "Vorarlberger Wandpfeilerschema" mit abgeklärter Kultivierung
weiter; ein Jahrzehnt später begann er es bewegter durchzubilden. Franz
Beers Werkliste ist von allen Vorarlbergern die umfangreichste an Zahl
und geographischer Breite, die bedeutsamste an architektonischer
Qualität. Zwischen 1700 und 1720 hat dieser meister im Bauwesen des
weiten Umkreises fast wie ein Großunternehmer regiert, geschäftstüchtig
und selbstherrisch.
Zeugnis dieser souveränen Entfaltung sind die 1715
begonnene Stiftskirche von Weingarten und die Stiftsanlagen der
Zisterzienser von Salem 1697 und Kaisheim 1716. In Konstanz, wo er sich
1706 niederließ, genoss Franz Beer besten Wohlstand und öffentliches
Ansehen. 1722 wurde er geadelt, als "Wohledler Herr von Bleichten" - er
ist der herrenhafteste aller Vorarlberger Baumeister.
Eingezogen dagegen - und doch in ganzem Sinn ein
großer Architekt - lebt der Auer Andreas Moosbrugger (1656 - 1723) als
Bruder Kaspar des Benediktinerstifts Maria Einsiedeln in der Schweiz.
Nach der heimatlichen Ausbildung bei Christian Thumb hat er in
Einsiedeln beim ersten Neubau der Stiftskirche unter dem Bregenzer
Meister Hans Georg Kuen mitgearbeitet. In langen Jahren galt Kaspar
Moosbrugger in der Schweiz als regelrechter Fachmann im Kirchen- und
Klosterbau. Sein stärkstes, konzentriertes Werk ist die neue
Stiftsanlage von Einsiedeln, die von 1704 - 1719 von Vorarlberger
Landsleuten ausgeführt worden ist. Krönung seines Schaffens wurde die
1719 begonnene Kirche von Einsiedeln.
Anders wieder, ein feinnerviges Kind dieser Welt,
war der Bezauer Peter Thumb (1681 -1788), ein Sohn Michael Thumbs. In
den 1720er Jahren wurde er in Konstanz der erfolgreiche und hochgeehrte
Nachfolger seines Schwiegervaters Franz Beer. In dem gleichfalls
zahlenmäßig umfänglichen und geographisch weiträumigen Werk Peter Thumbs
zeichnen sich die Klosterkirchen von Ebersmünster im Elsaß und St.
Peter im Schwarzwald auch der dortige Bibliotheksaal durch ihre
geschliffene Architektonik aus. Mit der Wallfahrtskirche von Birnau hat
Peter Thumb 1745 jenen Kirchsaal geschaffen, der das beglückende Gehäuse
der schönsten Raumbildlichkeit des Rokokos im Bodenseeland ist. Seit
1748 war Peter Thumb auch mit dem Neubau der Stiftskirche St. Gallen
beschäftigt.
Der Hauptmeister von St. Gallen ist der aus Au
gebürtige, in Bildstein ansässige Johann Michael Beer (1696 - 1780). Er,
der gleichnamige Sohn (1700 - 1767) des Franz Beer von Bleichten sowie
Johann Ferdinand Beer (1731 -1789), die alle zumeist in der Schweiz
tätig gewesen sind, zeigen, dass das Vorarlberger Baukünstlertum auch
über die Mitte des 18. Jahrhunderts hin und gerade auch außerhalb "des
Schemas" noch lebendig gewirkt hat.